Die Liebesverheirat – Leseprobe
Vogelfrei
Was geschehen soll, wird geschehen. Was nicht …, wird verhindert! Die Flamme, die den rechten Flügel des Flugzeugs attackierte, verschlang ihre Beute wie eine hungrige Bestie ein Festmahl nach wochenlanger Fastenkur. Doch sie kämpfte gegen kräftigen Gegenwind. Tosende Regenstürme tobten erbittert gegen das gefräßige Feuer. Das wehrte sich erzürnt. Jedoch vergeblich. Nach mehrmaligem Aufbäumen versiegte die Flamme. Erbärmlich und endgültig. Poseidons Puste raubte ihr das Feuer. Als sei es eine Kerze auf einem Geburtstagskuchen, dem das Leben das Licht ausblies. Woolf triumphierte über ihr Versiegen. Das war SEIN SIEG! Er hatte die ganze Kraft seiner Gedanken dafür aufgebracht, die Vision des verbrennenden Fliegers zu vernichten. Seine teerverklebte Lunge blies sich frei. Erschöpft und erleichtert hob er das Kinn seines Kräbbchens an. Deren wohlfrisierter Kopf lag dösend auf seiner Brust. „Kräbbchen! Wach auf! Willkommen in der Freiheit!“ Nikki Rose erwachte aus tiefem Schlaf. Sie öffnete die Augen und sah Woolfs strahlendes Gesicht. Er drückte seinen Mund hart auf ihre Rosenlippen. Sie blickte fragend in seine Augen. „Ich habe geträumt, unser Flieger brennt und wir stürzen ab.“ Er umarmte sie beschützend. „Kräbbchen. Dann wären wir zumindest zusammen. Im Tod wie im Leben! Doch fürchte dich nicht. An meiner Seite bist du für immer sicher!“ Sie erblühte im Wissen: Alles war gut und würde noch viel besser! Woolf war nicht mehr grau. Eine rosige Frische hatte sich auf seine schmalen Wangen geschlichen. Die Haut, sonst tief gefurcht, wirkte wie nach einer Botox-Spritze. Straff und starr. Die Flucht in ihr neues Leben wirkte Wunder. Nikki lächelte romantisiert. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzten durch einen Himmel aus rosa Wolken. Nie hatte sie sich so sicher und wohlbehütet gefühlt. Und: frei wie ein Vogel. Sie hatten die Fesseln der Konvention gesprengt und waren der Tristesse entflohen. Die Enge Europas lag hinter ihnen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten vor ihren Augen. Der glitzernde Ozean war ihre Bühne. Die Reflektionen des Lichts funkelten wie unzählige Sterne zu ihren Füßen. Sie verhießen Ruhm und Reichtum. Der Himmel war kein Limit. Mit funkelnden Augen lächelten sich die Geliebten an. Die Koffer voller Trauer und Sorgen sowie sämtliche bürgerliche Bedenken gingen über Bord.
„Steward! Champagner!“ Diese Flucht in die Freiheit MUSSTE zelebriert werden! Woolf schnippte den süßen Saftschubser mit dem verführerischen Hüftschwung heran. „Den gibt es nur in der ersten Klasse. Ich kann Ihnen einen ausgezeichneten Prosecco kredenzen!“ Der schöne Steward lächelte entschuldigend. Woolf plusterte sich auf. Ein Donnergrollen entwich seinem Mundschlitz. „Siehst du denn nicht, mit wem du es zu tun hast? Ich bin der King of Rock. Und ich habe gerade dein fucking Flugzeug vorm Verbrennen gerettet. Das sollte eine Flasche Ruinhart Rosé wert sein!“ Das irrsinnige Funkeln in den eisgrauen Augen und die großspurige Aussage des Fluggastes implizierten Gefahr. Die Ausstrahlung der Aggression hatte allerdings durchaus Sex-Appeal. Der schnuckelige Kellner der Lüfte zuckte mit den Schultern und lächelte hingebungsvoll. „Wenn das so ist … Lassen Sie mich sehen, was ich für Sie tun kann!“
Mit erotisiertem Hüftschwung lief er die Gangway hinunter in die erste Klasse. Minuten später kam er mit Eiskühler und Monsieur Ruinhart Rosé zurück. „Thanks! Man! That’s how I like life!” Woolf strahlte wie ein Hundertkaräter. Nikki lächelte schelmisch und dezent verstrahlt. Der Kellner der Lüfte verbeugte sich zutiefst. Er rechnete mit einem riesigen Trinkgeld. Von dem wollte er sich selbst eine Bouteille Champagner gönnen. Doch sobald der Champagner im Glas prickelte, war er abgemeldet. Woolf winkte ihn weg wie eine lästige Fruchtfliege. Die Liebesvögel stießen auf ihre frisch erlangte Freiheit an. „Auf unser neues Leben! Auf Miami! Auf uns!“ Mit dem Treibstoff des Champagners verflog die Zeit im Sauseschritt. Wenige Stunden später ertönte die Ankündigung der Ankunft. „Ladies und Gentlemen, wir haben die Flughöhe verlassen und nehmen Anflug auf Miami!“ Doch zuvor musste der Woolf austreten.
Willkommen im Wegelagerer-Land
Nikki und Woolf stiegen torkelnd, bei der einen Flasche Champagner war es nicht geblieben, die Stufen aus dem Flieger hinab. Er breitbeinig, die schwere Holzgitarre wie eine Waffe vor seinem Astralkörper schwenkend. Sie hinterher. Mit zierlichen Schritten. Die feinen Absätze vorm Steckenbleiben im Treppengitter retten wollend. Doch alle Vorsicht war vergebens! Sie rutschte aus und ratterte holterdiepolter, die Stufen hinunter. Woolf lief weiter. Vor ihm lag die strahlende Zukunft. Das strauchelnde Kräbbchen zog er mit, ohne sich umzublicken. Die Zeit der Rücksicht war vorbei! Jetzt würde er das Paradies rocken!
Er trat in die tropische Luft Miamis, die vor Feuchtigkeit und der Opulenz überreifer Früchte triefte. Sofort zündete er sich mit triumphierenden Gesichtszügen eine Mannboro an. Er war am Ort seiner Bestimmung angekommen! Hier würde er als DER Rockstar landen, als der er sich schon immer sah! „Welcome the King of Rock!“, flüsterte er beschwörend. Gierig inhalierte er den Rauch. Der stundenlange zigarettenlose Flug hatte an seiner süchtigen Seele gezerrt. Nikki Rose raffte sich hinter ihm in drolliger „Eilwürde“ auf. Bloß keine Schwäche zeigen. Der trübe Tropenhimmel war schwer und schwül. Und windig. Eine Sturmbö attackierte ihre Tolle. Das Klima war der Frisur Feind, nicht Freund. „Hilfe! Meine Haare!“ Besorgt schützte sie ihr Haarwerk mit ihrer Handtasche. „Kräbbchen! Stell dich nicht so an! Das bisschen Brise kann gegen deine Tonnen von Beton Hair doch nichts ausrichten!“ Mit verächtlichem Blick auf das Rosenhaupt trat Woolf seine Kippe gefährlich nahe an einer Benzinspur aus. Nach ihm die Sintflut. Nikki schlich gedemütigt hinter ihrem plötzlich so ungalanten Geliebten her. Das Ticken ihrer MegaO wurde lauter und lauter. „TicktackTicktackTicktack!“ Die treue Gefährtin am Handgelenk warnte sie. Doch sie konnte nicht anders, als den großspurigen Schritten des Woolfs nachzugehen. Der breitete die Arme aus. Die Welt war sein!
Sie folgte Woolf in den Flughafen. Drinnen blies nicht der Wind, sondern die Aircondition gegen ihre nur noch halbwegs stabile Frisur. München–London–Miami. Ihr Drei-Wetter-Turm war angeschlagen. Die Rose auch! Der Fall von der Flugzeugtreppe hatte blutige Schürfwunden an den Handflächen hinterlassen. Die Knie waren aufgeschlagen. Die teuren Wohlfind-Strümpfe zerrissen. Und jetzt machte ihr die garstige Klimaanlage den Garaus. Die Rose hüstelte. Und ward sekündlich krank. Die Schlange vor der Passkontrolle war endlos. Woolf tigerte auf der Suche nach einem Raucherraum durch die eisgekühlte Halle. Nikki durfte anstehen. Nach langem Warten in der stinkigen Schlange standen sie endlich vor einem kubanischen Beamten mit Boxergesicht. „Where you from? What you want in Miami?“ Offensichtlich war er nicht in der Lage, die entsprechenden Informationen aus Reisepass und Einreiseantrag zu erlesen. „Munich. Miami: Sunshine! Vacation!“, strahlte Nikki den tumben Toren an. Lächelnd. Auch im Angesicht der völligen Verzweiflung. „No visa!“, monierte der Stoffel und fletschte die Zähne. „We only stay two weeks!“ Nikki zeigte ihm die Reservierungsbestätigung des Raylight Hotel und legte ihr Rückflugticket vor. Keine Reaktion. Da trat Woolf vor und stopfte dem kubanischen Vollpfosten ein fettes Bündel US-Dollars durch den Schlitz. Das verschwand so schnell wie der Wind. Nun verzog sich das vormals fiese, feiste Gesicht zu einem gaunerhaften Grinsen. „Welcome to Miami!“ „Dusch! Dusch!“ Endlich sauste der Stempel über ihre Reisedokumente. „Freigabe erteilt!“ Woolf zog durch die Pforte ins Paradies. Nikki folgte stolpernd. Ihre Schritte auf den hohen Absätzen so unsicher wie nie zuvor. In zittrigen Fingern hielt sie das Rückflugticket. Die letzte Brücke zurück in die scheinbare Sicherheit des vergangenen Lebens. Sofort wurde es nass vor Angstschweiß. Schnell steckte sie es weg, in die Armada-Tasche. Tippeltippeltippel. Sie versuchte bemüht, nicht den Anschluss an ihren rasenden Rocker zu verlieren.
Brr! Trotz des Stiletto-Stakkatos zitterte sie erbärmlich in ihrem kleinen Kleidchen. Erst das tonnenschwere Tropenklima. Dann die Eisattacke der Klimaanlage! Das sollte das Paradies sein? Sie fühlte sich so einsam wie Eva, die ihren Adam an die Versuchung verloren hatte. Woolf war seit der Landung in Miami absent. Berauscht vom Duft der Freiheit, kümmerte er sich nicht mehr um sein Kräbbchen. Er steuerte weg von ihr, auf die Gepäckwagen zu. Vergeblich versuchte er, eine der Stahlkarossen aus der Schlange zu befreien. Sie waren an einer Kette aufgereiht. Wie Gefangene in Fußketten. Und ohne Cash nicht freizubekommen. Schon erschien ein kleines Kuba-Männchen mit offener Hand. Woolf steckte ihm ein Bündel Dollars in die feuchte, schwitzende Handfläche. Schwupps, war es weg. Dafür hatte er einen Gepäckwagen mit Kubaner an der Backe, der den Wagen mit unterwürfiger Geste zum Gepäckband fuhr. Auch dort angelangt, machte er keine Anstalten, zu gehen. Das glamouröse Paar hatte sicher noch jede Menge Zaster und war offensichtlich eine leichte Beute. Doch die Rose war gewiefter als erwartet. Unter der Amy Weinhaus-Tolle waltete ein kluger Kopf. „Thank you! That’s all!“, wedelte sie den dienernden Kofferkuli hinfort. Ein deutliches Unwohlsein machte sich in ihr breit. Das perfekte Paradies zeigte bereits bei der Ankunft deutliche Risse zwischen Sein und Schein. Ohne Schotter lief nichts im Schlaraffenland! Bereits der Flughafen wimmelte von Wegelagerern, die wie Fruchtfliegen um Geld und Gunst der Passagiere buhlten. Bereits jetzt vermisste sie die deutsche Disziplin. Den Anstand der Germanen! An der Seite ihres Woolf Barzokka schien sie im Reich der Abzocke gelandet. An seiner Seite? Er war schon wieder weg. Verloren stand sie vor dem Gepäckband. Woolf war beim weiteren Rendezvous mit Mannboro.
Die Rose blickte sich Hilfe suchend um. Kein Amerikaner weit und breit. Freundliche Gesichter? Fehlanzeige.
Dafür kreischten Horden von Hispanos durch die kalte Halle. Waren sie vielleicht versehentlich in Kuba gelandet? Permanent dröhnten spanischsprachige Nachrichten durch die Halle. Das Englisch der Ansagen war zum Wegrennen. Nikki verstand: NADA. Vom Gepäck keine Spur. Sie ließ den Kopf hängen. Ungute Vorahnungen erfüllten ihre Gedanken und sendeten Armeen von Wespen in ihr Herz, das mehr und mehr brannte vor Verzweiflung! „Wo bin ich? Was will ich hier? Und wer ist der Mann, der nicht an meiner Seite steht?“ Am liebsten wäre sie auf der Stelle umgedreht und zurückgeflogen in ihr heiles Zuhause. Doch das gab es nicht mehr, seit die Liebe aus ihrem Leben gerissen worden war. Eine einsame Träne hinterließ salzige Spuren auf der gepuderten Rosenhaut. Sie fühlte sich verraten und verkauft. Da kam der Trost! Ihr roter Samson Light-Koffer rollte auf das Gepäckband. Die Reste ihrer Heimat beinhaltend. Getröstet beim Gedanken an ihre kleinen Kleidchen, hübschen High Heels, geistreichen Bücher, den I-Pool voller Soundperlen und pflegende Schätze an Kosmetika, erstrahlte die Rose. Doch dann befiel sie erneut die Panik. Kein Woolf weit und breit. Er hatte die perfekte Antenne, im Moment des Bedarfs mit Abwesenheit zu glänzen. Wie bloß sollte sie die Koffer vom Band bekommen? Hätte sie den kubanischen Kofferkuli bloß nicht fortgeschickt. Doch Jammern half nicht! Beherzt ging sie auf den Koffer zu, der so schwer schien wie ein Sack voller Steine. Mühsam hievte sie den Koloss vom Band. Und taumelte zu Boden. Erneut. Blutrot vor Anstrengung rappelte sie sich auf. Es folgten Woolfs ferrarirote E-Gitarre und sein schäbiger Stoffkoffer, der aus allen Nähten zu platzen drohte. Sie hob auch sein Gepäck auf den Wagen und sank in einem Schwächeanfall auf das rostige Gefährt. Endlich erschien Woolf. Die Aura kalter Asche umgab ihn wie der Gestank des Todes. „Kräbbchen. Das wäre doch nicht nötig gewesen. Warum hast du nicht auf mich gewartet?“, heuchelte er Besorgnis. Sie schwieg säuerlich. Woolf war ein Macker, der die Frauen machen ließ …